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Selbstlaute (Vokale) und Zwielaute (Diphtonge) Lautlehre zum Osnabrücker Platt: Selbstlaute, Zwielaute; kurze und lange Silben

I.2 Kurze und Lange Silben

"Die Selbstlaute werden am Silbenanfang und in geschlossenen Silben anders als im Hochdeutschen grundsätzlich kurz ausgesprochen." Lang gesprochen werden sie, wenn sie allein gesprochen werden oder sich am Silbenende befinden (jedoch nicht als Auslaut)1.

Selbstlaute, die am Silbenanfang oder in geschlossenen Silben lang gesprochen werden, kennzeichne ich durch Verdoppelung, z.B.

aachwüönsk, ääs, daal, Huus, Luus, Lüüt .

I.3 Selbstlaute (Vokale) / Diphtonge / Triphtonge

I.3.1 Vokale

Es gibt 10 Vokale (Selbstlaute) und Umlaute.

Zusätzlich zu den hochdeutschen Vokalen und Umlauten a, e, i, o, u, ä, ö, ü

gibt es im Osnabrücker Platt den Selbstlaut

  • ao [ɔ:] (kein Diphtong) offenes o, aber lang
	 ao = ein offenes o wie in Knochen, jedoch langgezgen (kein Doppellaut) 

und den dazugehörenden Umlaut

  • äö [œ:] breites, langes, offenes ö
	 äö = ein offenes, langgezogenes ö wie in Mörder (kein Doppellaut)

Die Vokale und Umlaute können lang oder kurz sein. Lange Vokale können im Schriftbild (nicht in der Lautschrift) durch Anhängen eines h oder durch Verdopplung gekennzeichnet sein.

 

I.3.2 Diphtonge

I.3.2.1 Beschreibung der Diphtonge

Es gibt 10 Diphtonge (Zwielaute).

Zusätzlich zu den drei hochdeutschen Diphtongen ei/ai/ey, au, eu/äu/oi

gibt es im Osnabrücker Platt sieben weitere Diphonge:


äi, iä, i(e), ou, uo/ua, öü/öi, üö .


Die Diphtonge sprechen sich so aus (falls abweichend vom hdt.):

  • au = klingt ähnl. wie hdt. au, jedoch mehr nach o. Wie ou im holländischen "koud" (kalt)
  • äi = langes e diphtongiert mit i wie in engl. „baker“, „to stay“, holl. „Heysel-Stadion“
  • = halblanges i gefolgt von gequetschtem e/ä (bis 1900 überkurzes i und Betonung auf dem e/ä, später Betonung auf dem i)
  • i(e) = halblanges i gefolgt von gequetschtem e/ä (Schwa) ; Betonung auf dem i
  • ou = halblanges, gerundetes, geschlossenes o gefolgt von überkurzem (aber gerundetem) u
  • uo = überkurzes u gefolgt von halblangem o mit Betonung auf dem o; klingt ähnl. wie ua
  • ´uo = halblanges u gefolgt von überkurzem o mit Betonung auf dem u; entstanden aus u + vokalisiertes r
  • öü = halblanges, geschlossenes ö (mit geringerer Rundung als hdt. langes ö) gefolgt von überkurzem ü; klingt ähnl. wie "öi"
  • üö = überkurzes ü gefolgt von halblangem ö

Keine Diphtonge sind:

  • ie = langes i (wie im hdt.)
  • i"e = = i+e getrennt ausgesprochen (Trema)
  • zwei gleiche aufeinanderfolgende Vokale = langer Vokal

Alle anderen Doppelvokale werden diphtongiert bzw. wie im hdt. ausgesprochen; z.B. ei = ai.

Siehe auch die Beschreibung der Diphtonge weiter unten im Kapitel „Beschreibung der Laute nach A.E. Niblett (1913)“.

  • ae,oe,ue sind keine Umlaute, sondern Doppelvokale; das e wird gequetscht.

Folgt nämlich auf einen Vokal oder Umlaut ein e (ohne darauffolgendes r), entstehen streng genommen weitere Diphtonge, welche z.T. auch schon im Hochdeutschen vorkommen:


ae/ahe [a:ə], eë/ehe/eä [e:ə], iee/iehe [i:ə], oe/ohe [o:ə], ue/uhe [u:ə], äe/ähe [ɛ:ə], öe/ööe/öhe [ø:ə], üe/ühe [ʏ:ə], aoe/aohe [ɔ:ə], äöe/äöhe [œ:ə]

 

Ich sehe es so, dass in den soeben genannten Vokalfolgen der erste Vokal immer lang ist, jedenfalls finde ich kein Gegenbeispiel.

Folgt ein r auf einen Vokal oder Umlaut und wird dieses r vokalisiert, entstehen streng genommen zusätzliche Diphtonge. Das gleiche gilt bei unbetontem er, das auf Vokal oder Umlaut folgt. Hier sind alle möglichen so entstehenden Zwielaute (sie kommen nicht alle vor):

aer [aᵒ], aher [´a:ᵒ], er(betont) [ɛᵒ/ɛᵃ/ɛɐ̯], ehr [ɛ:ɐ̯], eër [eɐ̯], eher [´e:ɐ̯], ir [ɪɐ̯], ier/ieher [i:ɐ̯], or [ɔɐ̯], ohr [ɔ:ɐ̯], oer [oɐ̯], oher [o:ɐ̯], ur [ʊɐ̯], uhr [uɐ̯], uer/uher [´u:ɐ̯], är [ɛɐ̯], ähr/äär [ɛ:ɐ̯], äer/äher [´ɛ:ɐ̯], ör [œɐ̯], öhr [œ:ɐ̯], öer [øɐ̯], öher [´ø:ɐ̯], ür [ʏɐ̯], ühr/üer [ʏ:ɐ̯], üher [´ʏ:ɐ̯], aor/aoer [ɔ:ɐ̯], äör/äöer [œ:ɐ̯]

 

I.3.2.2. Beispiele zu weiteren und zusätzlichen Diphtongen

I.3.2.2.1 Durch Ausfall eines Konsonanten

Oft sind die Vokalfolgen „Vokal/Umlaut (+h) + e(r)“ durch Ausfall eines Konsonanten (meistens d oder t) entstanden bzw. entsprechen im Hochdeutschen (und Englischen) nicht einem Diphtong:

Faen(Faden), Lae (Lade), raen (raten),

beën (bieten), scheën (scheiden), weën (jäten, engl to weed),

glieen/gliehen (gleiten, engl to glide/slide), schniehen/schnieen (schneiden), Stiehe/Stiee (Stelle, Stätte; engl site?), wier/wieer(wieder), gnieen (reiben, aus nds gnieden), lieen/liehen (leiden,mögen), mieen=mieën (meiden), nieen (unten, vgl. nieder-), rieen (reiten), snieen/snihen (schneiden), Wiee (Weide,Weihe),

Boer (Butter), Broer (Bruder), goen (guten), Goensdag (Mittwoch, „Wotanstag“ oder „Odinstag“, vgl engl Wednesday), Moer (Mutter), vermoen (vermuten),

luen (tönen, lauten),

biäen (beten), Bläer (Blätter), kläen (kleiden), kniäen (kneten), (he)siäe (sagte), (ik)triäe (trete),

flöen (fluten), höen (hüten), möe (müde), smöe (sanft, geschmeidig, engl smooth),

bedüen (bedeuten), Büel (Beutel), (ik)büe (trage,hebe; aus „büre“, engl to bear), düen (deuten), krüen (jäten; zu Kruud=Kraut), Lüe (Leute), Rüe (Hund [Rüde]),

braoen (braten), raoen (raten)

 

I.3.2.2.2 Auch im hdt / engl vorhanden

Manchmal sind diese Vokalfolgen aber auch im Hochdeutschen oder Englischen als Diphtong oder sogar Triphtong vorhanden:

Brae (Braue,engl brow), versmaen (verschmähen), Trahe (Wagenspur, engl trail),

speën (spähen, engl to spy), eër/eher (eher, engl poet. Ere),

Fieer (Feier), Lieer (Leier), schrihen (schreien),

duern (dauern), Buer (Bauer), gluen (glühen), jue (euer, engl your), Schuer (Schauer), suer (sauer),

bröen (brühen), fröher (früher), Möhe (Mühe),

düer (teuer), Fruenslüe (Frauen), Füer (Feuer), Müer (Mauer), Schüer (Scheuer, Scheune)

 

I.3.2.2.3 Nur im Plattdeutschen

Wörter, bei denen die Vokalfolge „Vokal/Umlaut (+h) + e(r)“ nicht durch Ausfall eines Konsonanten entstanden ist und auch im Hochdeutschen oder Englischen keinem Diphtong oder Triphtong entspricht – zumindest sind mir entsprechende Wörter nicht bekannt - , finde ich nur wenige:

Broen (Waden2), Hillekae (Dohle3), huerken (hocken; to hunker down), küeren (sprechen, reden)

 

I.3.3 Triphtonge

Weitere Vokalfolgen – Triphtonge – entstehen durch „Diphtong (+h) + e“. Insbesondere kommen folgende vor:

iäe, eie, äie, öüe

Beispiele und Erläuterungen zu den Triphtongen siehe unter „Beschreibung der Laute nach A.E. Niblett (1913)“.


Schließlich können durch Diphtong und folgendes, vokalisiertes r oder folgendes unbetontes er zusätzliche Triphtonge entstehen. Von diesen kommen vor (jeweils mit Beispielen):


iär/iäer (Biärg, Biärke, stiärwen/stiäerwen, Fiärken, hiär, Hiärm, Hiärvst, Kiärke, Piär, Schiärn, Wiärk, ...)

uor (Duorp, kuort, Kuorf, Muorn, Stuork, Wuorst, ...)

üör (Büörger, büörn (tragen), Düörper, Küörwe, slüörpen, (he)stüörf (starb), Stüörke, Wüörste, ...)


Quellenangaben und Fußnoten:

1 www.plattdeutsch.net/media/download_gallery/Aussprache.pdf

2 In Köln „Broden“; mit Braue und engl. brim = Rand verwandt, aus „Die Aachener Mundart: Idiotikon nebst einem poetischen Anhange“ von Joseph Müller, Wilhelm Weitz, Aachen und Leipzig, Verlag von Jacon Anton Meyer, 1836

3 Das Tier war auch in Salzgitter als „Hilleka“ bekannt, s. Journal für Ornithologie, Prof. Dr. Jean Cabanis (Deutsche Ornithologische Gesellschaft), 35. Jg, 4. Folge, 15. Band, Leipzig, 1878, S. 427